Weiß der Teufel, wo wir eigentlich stehen – Versuch einer Positionsbestimmung

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Nur eins ist sicher: In wenigen Tagen, wenn der Europäische Gerichtshof sein Urteil in Sachen Antragsberechtigung von Nachbarn auf Umweltverträglichkeitsprüfung  (UVP) verkündet, sind die Karten neu gemischt. Alle bisherigen Bewilligungen zur Freileitung könnten dann bis auf Weiteres hinfällig werden. Es kann aber auch sein, dass österreichische Behörden und Gerichte versuchen, das zu ignorieren. Die Zusammenhänge sind jedenfalls verwickelt. An vier verschiedenen Hauptfronten im Kampf gegen die Freileitung (und für die Erdverkabelung) herrscht derzeit Hochspannung…

Es gibt die Ebene der Gerichte und Behörden und die Ebene der Politik. Spekuliert wird viel – doch ob die Politik (zu der wir hier die Energie AG hinzurechnen) etwas mit dem Verhalten von Beamten und RichterInnen zu tun hat, wissen wohl nur die direkt Beteiligten. In den beiden rechtlich abgeschlossenen Verfahren, der energierechtlichen und der naturschutzrechtlichen Bewilligung der Freileitung, war zumindest das Verhalten der Behörden bzw. Gerichte eklatant unschlüssig und juristisch wie logisch nicht nachvollziehbar. Und zwar derart, dass ein Fazit völlig auszuschließen ist: Dass wir in einer sachlichen Auseinandersetzung den besseren Argumenten unterlegen wären.

Was ist mit den Enteignungen?
Rund 50 Grundeigentümer sind nicht bereit, ihr Land freiwillig für den Freileitungsbau herzugeben. Von den Übrigen haben etliche nur unter massivem Druck den Dienstbarkeitsvertrag mit der Energie AG unterschrieben. Wirkliche Befürworter der Freileitung dürften an den Fingern einer Hand abzuzählen sein. Jedenfalls droht den Standhaften die Enteignung durch Zwangseinräumung der Dienstbarkeit – und das im Grunde seit Rechtskraft der energierechtlichen Bewilligung vor über 2 Jahren!

Über die Gründe dafür, dass die Enteignungen nicht vorangetrieben wurden, ist viel und fruchtlos spekuliert worden. Kurios wurde es erst im Dezember 2014: Zwei Grundeigenntümer aus Vorchdorf erhielten eine Ladung zur Enteignungsverhandlung, die jedoch am Vortag des Termins wegen angeblicher "Verletzung" des Amtsgutachters wieder abgesagt wurde. Ein neuer Termin sollte Mitte Januar stattfinden und dann auch die restlichen Enteignungen Zug um Zug abgewickelt werden. Seit drei Monaten geschieht nun – nichts. 

Die ausstehende Rodungsbewilligung
Für alle Maststandorte im Wald ist eine Rodungsbewilligung erforderlich. Zahlreiche betroffene Waldbesitzer haben die Anträge der Energie AG mit beachtlichen Argumenten beeinsprucht: Hangrutschungen, Windwurf, vor allem aber: Wenn alternativ ein Erdkabel verlegt würde, wären Rodungen und Trassenaufhiebe erst gar nicht erforderlich. Die Bezirkshauptmannschaften übergingen einen Großteil dieser Einwendungen und bewilligten die Rodung.

Das Landesverwaltungsgericht hob die Bewilligung auf – allerdings (juristisch völlig korrekt) aus einem rein formalen Grund: Die BHs waren unzuständig, der Antrag hätte beim Landeshauptmann als Behörde gestellt werden müssen. Folgerichtig hat sich das Gericht mit den Beschwerdegründen erst gar nicht auseinandergesetzt. Inzwischen hat die mündliche Verhandlung für das "richtige" Rodungsverfahren stattgefunden. Der Bescheid steht noch aus.

Pikantes Detail: Auf der Trasse muss ja auch zwischen den Masten, wo die Leiterseile hängen, im Wald geschlägert werden, und zwar viel. Das ist keine Rodung, sondern eine Fällung. Und die Bewilligung dafür kann erst erteilt werden, wenn die Energie AG über die Eigentumsrechte verfügt, sprich: wenn rechtskräftige Enteignungsbescheide vorliegen…

Umweltverträglichkeitsprüfung: Nach über 5 Jahren alles wieder an den Punkt Null?
Unter Berufung auf unterschiedliche Gesetze haben Trassengemeinden, Anrainer und die Naturfreunde sogenannte Feststellungsanträge gestellt. Das bedeutet, dass festgestellt werden soll, ob eine UVP durchgeführt werden muss. Bereits die Behandlung dieses Antrags würde alle bisherigen Bewilligungen vorläufig suspendieren, erst recht natürlich eine Entscheidung, dass das Freileitungsprojekt tatsächlich UVP-pflichtig ist. Behördlich wurden alle Anträge abgewiesen, also mangels Antragsberechtigung nicht behandelt. Die Beschwerdeverfahren gegen diese Bescheide laufen noch.

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs, das am 16. April verkündet wird, wird voraussichtlich bestätigen, dass zumindest Anrainer (sog. betroffene "Nachbarn") ein Antragsrecht haben. Auch das allerdings bestreitet die Energie AG. Die genaue Urteilsbegründung bleibt abzuwarten. Klar ist aber: Eine UVP würde das gesamte Projekt um Jahre zurückwerfen. Die Aussicht, ein Erdkabel hingegen ohne nennenswerte Schwierigkeiten zu realisieren, würde den Druck auf die Energie AG deutlich erhöhen.

"Freileitung oder Erdkabel keine Frage der Politik"?
Seit Monaten signalisiert zumindest die ÖVP des Bezirks Kirchdorf samt den parteinahen Organisationen erneut eine kategorische Ablehnung von "Enteignungen im großen Stil". Bezirksvorsitzender LA Christian Dörfel machte zuletzt mit der Aussage Schlagzeilen, die Freileitung sei für ihn "gestorben". Dass genau darüber "Gespräche" auf politischer Ebene stattfinden, wurde immer wieder angedeutet. Eine offizielle Bestätigung, geschweige denn konkrete Ergebnisse gibt es bisher aber nicht – außer man geht davon aus, dass der einstweilige De-facto-Abbruch der Enteignungsverfahren ein solches Ergebnis ist.

Diese nebulöse Situation provoziert Spekulationen und Gerüchte, die vor allem mit den nahen Landtagswahlen zusammenhängen. Dörfels Äußerungen (die einzigen, die es von politischer Seite zum Thema gibt) werden dabei als Wahlkampfgeschrei verdächtigt, und aus anderen politischen Lagern ist zu hören, der Landeshauptmann warte lediglich die Wahlen ab, danach würde sofort mit den Enteignungen angefangen. Die Landesgrünen sind seit Jahren auf Tauchstation zum Thema Freileitung und Erdkabel. Von Seiten der SPÖ ist angekündigt, die Frage im Landtag zu diskutieren.

Der eigentliche Skandal liegt jedoch nach wie vor auf demokratiepolitischer Ebene: Ein mehrheitlich landeseigenes Unternehmen will eine Freileitung durchprügeln, die als Erdkabel niemandem schaden würde – gegen den erklärten Willen der Gemeinden, der Bevölkerung, auf dem Rücken vieler hunderter schwer beeinträchtigter Anrainer und gegen jede Vernunft. Und niemand der Verantwortlichen übernimmt Verantwortung und stoppt die Energie AG, jedenfalls bis heute. Dann wird eben ein Europäischer Gerichtshof für Gerechtigkeit sorgen müssen.

 

Verfasst von 110kV ade am 11. April 2015 - 18:25
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