Pflicht zur UVP-Prüfung: Neues Urteil des VwGH auch auf 110-kV-Bewilligung anwendbar

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Nicht überraschend, aber dennoch ein Erdbeben für die Genehmigungspraxis von Großprojekten wie der 110-kV-Freileitung Vorchdorf - Kirchdorf in ganz Österreich: Der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) ist mit dem aufsehenerregenden Erkenntnis vom 22. Juni dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (vgl. unseren Bericht) ohne Wenn und Aber gefolgt. Damit hat das Höchstgericht auch seine eigene ständige Rechtsprechung in diesem Punkt korrigiert: Bei der Frage, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchgeführt werden muss, haben Nachbarn als "betroffene Öffentlichkeit" eindeutig Parteienrechte.

Einen entsprechenden Feststellungsantrag hatten bereits 2013 eine Reihe Betroffener beim Land Oberösterreich eingebracht. Sie waren der Ansicht, dass die 110-kV-Freileitung mit einem UVP-Verfahren geprüft werden muss. Die Berechtigung zu einem solchen Antrag wurde ihnen jedoch abgesprochen. Die Beschwerde gegen diesen Bescheid liegt seither auf Eis – offenbar, weil man dem schwebenden Verfahren vor dem EuGH nicht vorgreifen wollte. Nachdem nun klar ist, dass das Urteil aus Luxemburg 1:1 für die österreichische Rechtsprechung bindend ist, kann auch die Antragsberechtigung im Fall der Hochspannungsleitung nicht mehr vom Tisch gewischt werden.

Alle bisherigen Bescheide hängen in der Luft
Für die Freileitung der Energie AG heißt das dann: Bis zu einer endgültigen Entscheidung in Sachen UVP hat keine der erteilten Bewilligungen mehr Rechtskraft. Auch die 55 Enteignungsanträge verlieren ihre Rechtsgrundlage. Vor diesem Hintergrund verschärft sich auch die Frage, ob eine politische Lösung des Konflikts zugunsten der Erdkabel-Alternative nicht doch der bessere Weg für das Projekt ist. Die Auseinandersetzung steht im sechsten Jahr, ohne dass die Energie AG auch nur einen Meter Leitung hätte realisieren können. Ein UVP-Verfahren könnte sich nicht minder lang hinziehen.

Ohnehin ist der Widerstand gegen die Freileitung, verbunden mit der Forderung nach einem Erdkabel, stärker statt schwächer geworden. Die Allparteien-Koalition der beiden betroffenen Bezirke, das Bauchweh mit massenhaften Enteignungen, das Fehlen jedweder vernünftiger Argumente gegen die Konsenslösung – dies und der Überdruss an der Pattsituation bewirken, dass sich die Erkenntnis breitmacht: Alle Beteiligten können mit dem Erdkabel nur gewinnen.

Das Höchstgericht macht reinen Tisch
Der VwGH hat mit äußerster Deutlichkeit geurteilt. Darauf und auf die weitreichenden Konsequenzen der langjährigen Untätigkeit des österreichischen Gesetzgebers weist nicht nur Rechtsanwalt Dr. Wolfgang List (Foto) in seiner https://110kv-ade.at/sites/default/files/Presseinfo List.pdf" target="_blank">Presseinformation hin. Auch ein fundierter Artikel in der Presse unterstreicht: Alle Umstände des VwGH-Erkenntnisses deuten darauf hin, dass die vollzogene 180-Grad-Kehrtwende in der Rechtsprechung ohne jeden rechtlichen Zweifel vollzogen wurde.

Selbst Bewilligungen, die "de facto" irgendwie UVP-ähnliche Erwägungen anstellen, können eine UVP keinesfalls ersetzen. Anrainer, denen in einem Bewilligungsverfahren (wie hier in vielen Fällen geschehen) die Einwendung, eine UVP sei erforderlich, abgelehnt wurde, könnten nun "reihenweise" erteilte Genehmigungen kippen. Die Sache sei so klar, dass das Gericht unter Vorsitz seines Präsidenten Rudolf Thienel nicht einmal einen "verstärkten Senat" gebildet hätte; das ist sonst bei Richtungswechseln wie diesem üblich.

 

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Verfasst von 110kV ade am 19. Juli 2015 - 7:37
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